Morgens, viertel nach neun. Die Sonne scheint durchs offene Fenster und malt helle Streifen auf die Bettdecke. Ich bin einen Moment vor ihr aufgewacht. Bleibe ganz still liegen und schaue sie einfach nur an. Völlig entspannt, in meine Armbeuge gekuschelt liegt sie da, die Decke hat sie mal wieder weggestrampelt. Ich spüre jeden ihrer ruhigen Atemzüge. Dann ein vorsichtiges Blinzeln, im nächsten Moment klappen zwei knallblaue Augen auf und strahlen mich an. Was habe ich für ein Glück, denke ich. Dass jeder meiner Tage mit diesem Blick beginnt. Seit genau 15 Monaten. Linnea hält nichts von langsamem Aufwachen. Eine Millisekunde später sitzt sie mit kerzengeradem Rücken im Bett und jubelt: "Mama da!" Dann schmeißt sie sich gekonnt auf den Bauch, robbt Richtung Bettkante, dreht sich blitzschnell um 180 Grad, lässt sich heruntergleiten und flitzt los zur ersten Morgenrunde durch die Wohnung. Ich kuschle mich noch einmal kurz unter die Decke und höre, wie Linnea ihr Bobbycar gegen die Couch setzt und die Kiste mit den Bauklötzen ausleert. Dann kommt sie zurück und schleift triumphierend ihr riesiges Stoffnilpferd hinter sich her: "Mama, Ham!" Das heißt: Ich soll Hamupam - so heißt das Nilpferd - verstecken, und sie will es suchen. Dazu muss ich aufstehen. Na gut. Während Linnea Hamupam sucht (er liegt hinterm Sessel) putze ich mir die Zähne, ziehe mich an und mache Frühstück. Die Langschläferin in mir ist glücklich, und mein Kind ist es auch.
Klingt nach einem beneidenswert entspannten Start in den Tag? Ist es auch. Und bei uns wäre das ganz sicher so nicht möglich ohne diese großartige Erfindung namens Familienbett. Die eigentlich gar keine Erfindung ist, sondern ein neuer Name für eine uralte Idee: dass die ganze Familie zusammen schläft, in einem Bett. Das war bis vor knapp 200 Jahren auch in Deutschland die Regel - und gilt heute als ziemlich exotisch. In unserer Krabbelgruppe schläft außer Linnea noch ein Kind im Familienbett - und zwölf im eigenen. Zumindest theoretisch. Denn irgendwann haben alle Mütter in der Gruppe mal ihr Kind zu sich ins Bett geholt: Weil das Baby zahnte, Bauchweh hatte oder weil sie seit Stunden mit immer größer werdenden Augenringen neben einem Gitterbettchen saßen und eine kleine Hand ihren Zeigefinger umklammert hielt. Wegschleichen aussichtslos. In solchen Situationen warfen sie ihre Prinzipien über Bord und holten das Kleine ins Elternbett. "Einfach, dass Ruhe ist." Und, oh Wunder: Meistens ist dann tatsächlich Ruhe. Alle kriegen den Schlaf, den sie dringend brauchen. Auch wenn`s ein bisschen eng ist.
Trotzdem berichten die Mütter von Schuldgefühlen: Na, eine pädagogische Glanzleistung war das ja nicht. Und schließlich gibt es noch die mit leichtem Schlaf, die sagen, sie wachen immer gleich auf, wenn das Baby sich bewegt. Dabei hatten wir für Linnea auch eine Wiege. Eine wunderschöne sogar. Im neunten Monat schwanger schlich ich oft ins Schlafzimmer und gab ihr einen Schubs, um mir vorstellen zu können, wie das sein würde: ein Baby haben.
Einschlafen: Haben Sie ein Einschlaf-Ritual?
Schlafprobleme bei Babys und Kleinkindern: "Hilfe, mein Kind will nicht schlafen!"
Auch darüber, wie unser Baby einschlafen sollte, wollte ich informiert sein. Diverse Baby-Internetseiten empfahlen: Nach einem liebevollen Ritual müde, aber wach in die Wiege legen und dann alleine einschlafen lassen. So, wurde mir versichert, schlafe mein Baby am besten und sichersten. Für den Fall, dass das nicht klappt, wurde in allen einschlägigen Artikeln auf spezielle Trainingsprogramme verwiesen, in denen es am Ende immer heißt: Aus dem Bett nehmen, Wiegen, Halten und Trösten streng verboten. Wenn ich so was lese, muss ich immer an mich als Kind denken. Nora, die schlechte Schläferin. Die abends drei, vier, fünf Mal wieder aufsteht und ins Wohnzimmer läuft: Ich kann nicht einschlafen! An die Angst im Dunkeln. An das Gefühl, unbedingt schlafen zu wollen und es einfach nicht zu können. Daran, zu betteln: Darf ich bitte, bitte in euer Bett? Und an das Gefühl, wenn ich es dann irgendwann endlich durfte: In die Kissen kuscheln, die nach Mama und Papa riechen. Ich habe meinem Mann abends im Bett mal von meinen Gedanken erzählt: "Kann etwas, was sich so falsch anfühlt, für uns richtig sein?" Malte kuschelte sich an mich und meinen Kugelbauch und sagte: "Nein. Außerdem gibt es objektiv nichts Schöneres, als in deinen Armen einzuschlafen. Unserem Baby das vorzuenthalten, wäre fast ein bisschen gemein - meinst du nicht?"
Eine Stunde nach der Geburt nahm uns die Hebamme erstmal die Entscheidung ab. Sie legte Linnea in ihrem Mini-Schlafsäckchen direkt neben mich ins Bett. Schon nach dieser ersten Nacht schien es mir völlig absurd, dieses kleine Bündel, das so vollkommen auf unseren Schutz angewiesen war, woanders schlafen zu lassen als bei uns.
Im Wochenbett las ich Jean Liedloffs "Auf der Suche nach dem verlorenen Glück", in dem die Autorin leidenschaftlich fürs Stillen, Tragen und gemeinsame Schlafen eintritt. Ihr Argument: Alle Babys kommen mit einem riesigen Bedürfnis nach Körperkontakt zur Welt, erstmal rund um die Uhr. Wenn das befriedigt wird, werden die Kinder in den ersten Lebensjahren ganz von allein immer selbstständiger und sind dabei völlig ausgeglichen und zufrieden. So hat Liedloff es bei den Yequana-Indianern im Dschungel Venezuelas gesehen. Ihr Appell an junge Eltern in der westlichen Welt: Hört wieder auf euer Gefühl und gebt den Neugeborenen die Nähe, die sie brauchen. Ich bin beeindruckt von ihren Schilderungen junger Amerikanerinnen, die Kinderwagen und Wiege gegen Tragetuch und Familienbett eintauschten und weder Dreimonatskoliken noch die berühmte abendliche Schreistunde kennen.
Linnea verbringt ihre ersten Lebenswochen fast ausschließlich bei uns im Tuch oder im gemeinsamen Bett, und weint höchstens kurz, wenn sie Hunger hat. Das kann am Anfang durchaus zehn Mal pro Nacht der Fall sein. Aber weil ich mich bald nur umdrehen und das T-Shirt hochschieben muss, strengt das kaum an. Meistens schlafe ich schon kurz, nachdem die Kleine angedockt hat, wieder ein. Das Ins-Bett-Bringen gestaltet sich denkbar einfach: Einmal Stillen und - zack! - ist sie weg für die Nacht. Schon nach drei Wochen schläft sie das erste Mal zehn Stunden am Stück. "Das ist Glück" sagt die Hebamme. "Aber nicht nur: Viele Babys wachen nachts nicht nur aus Hunger auf, sondern weil die Nähe brauchen. Und die gibt’s für sie eben oft nur beim Stillen. Wenn Linnea satt ist, tankt sie eure Nähe im Schlaf und muss dafür nicht extra aufwachen."
Linnea wird größer, und wir wachsen mit ihr ins Leben mit Familienbett hinein. Lag sie anfangs oft zwischen uns, schieben wir sie jetzt konsequent zur Seite - schließlich wollen Malte und ich zum Einschlafen auch miteinander kuscheln! Linnea stört das nicht - Hauptsache, es ist eine Hand zum Greifen da, wenn sie im Traum danach tastet.
Als Linnea mit sechs Monaten anfängt, sich zu drehen, bauen wir einen Rausfallschutz. Nach acht Monaten, als das Robben und Hochziehen losgeht, ist unser Bett eingezäunt wie der Hochsicherheitstrakt von Alcatraz und für uns am einfachsten per Hechtsprung zugänglich. Diese Phase ist nach drei Wochen schon wieder vorbei - die Sicherungen können verschwinden, weil wir Linnea beigebracht haben, wie man sicher auf den Boden kommt: auf den Bauch werfen und langsam rückwärts runterlassen, wie sie das noch heute macht. Weil Linnea im Schlaf dann eine Zeit lang mit Vorliebe quer liegt, bauen wir an: Ein Gitterbett, bei dem wir eine Seite abgeschraubt haben, wird zum Babybalkon. Nur: Das ist Linnea nun wieder viel zu weit weg von uns und dient höchstens als Spielplatz fürs morgendliche Workout, wenn Mama noch nicht in die Puschen kommt. Als Linnea zehn Monate alt ist, schläft sie übrigens von selbst wieder ruhiger. Also wird das Gitterbett abmontiert und dient vorerst als Käfig für Linneas Kuscheltier-Zoo. Irgendwann, da sind wir uns beide sicher, wird Linnea ganz von allein dort schlafen wollen.
Als Linnea ein Jahr alt wird, ist für Malte und mich Zeit für eine erste Zwischenbilanz. In den vergangenen zwölf Monaten hat unsere Tochter keine Nacht nicht bei uns geschlafen. Sie scheint sehr glücklich damit, und wir sind es auch. Daran, dass sie alleine einschläft, ist noch immer nicht zu denken. Dafür schläft sie überall problemlos ein, wenn wir nur da sind. Ob bei Oma und Opa, im Urlaub oder neulich auf der eigentlich ziemlich lauten Hochzeit: Wenn Linnea müde ist und Nähe bekommt, schläft sie wie ein Engel. Kuscheltier, Schnuffeltuch, Schnulli? Braucht sie nicht. Angst vor der Dunkelheit? Kennt sie nicht. Protestgeschrei, weil sie nicht ins Bett will? Gibt’s bei uns nicht. Anstrengende Nächte? Klar, die gab’s. Manchmal hat sie uns nachts in die Rippen getreten, wenn sie mal wieder quer lag. Und seit sie Zähne bekommt, ist' auch mit dem Durchschlafen wieder vorbei. Stattdessen ist nächtelang Dauerstillen angesagt - bei dem ich aber dank Familienbett trotzdem immer wieder wegnicken kann. Dafür haben wir nachts noch nie ein schreiendes Kind durch die Wohnung getragen, wie ich das von den Müttern aus meiner Krabbelgruppe immer wieder höre. Egal, was war - wir mussten nachts nie unser kuscheliges Bett verlassen, um Linnea zu trösten. Und unser Liebesleben? Fand schließlich auch früher nicht nur im Schlafzimmer statt.
Abends, viertel nach neun. Sie schläft. Vorsichtig stehen Malte und ich auf und betrachten noch einen Moment unser kleines Kind in unserem großen Bett. "Schlaf gut, kleine Maus", flüstert Malte beim Hinausgehen. Ich räume Hamupam ins Regal und parke das Bobbycar im Flur. Malte macht uns in der Küche was zu trinken. Der Abend gehört uns. Die Nachteule in mir ist glücklich. Und mein Kind ist es auch.
Von vielen Seite hören Eltern den Rat: Babys am besten im Elternschlafzimmer schlafen lassen - aber dort im eigenen Bettchen. Vorteil dieser Empfehlung: Man kann sie pauschal allen Eltern geben, egal, ob Raucher oder nicht. Denn: Mit einem Raucher im Familienbett steigt das Risiko für den Plötzlichen Kindstod (SIDS) tatsächlich deutlich. Aber: Müssen deshalb alle nichtrauchenden Eltern aufs Familienbett verzichten? Nein, sagen Weltgesundheitsorganisation (WHO) und Unicef nach Auswertung sämtlicher Studien zum Thema. Und ermutigen junge Eltern zum Familienbett. Mütter, die direkt bei ihren Babys schlafen, stillen häufiger und längere Zeit - und Stillen senkt das Risiko des plötzlichen Kindstod um bis zu 50 Prozent. Neuere Studien zeigen auch: Mütter schützen ihre Babys im Familienbett intuitiv durch unbewusste Berührungen sowohl vorm Überhitzen als auch vor Atemstillständen in extremen Tiefschlafphasen - beides ist seit langem als SIDS-Risikofaktor bekannt. Videoaufnahmen vieler tausend Familien im gemeinsamen Bett haben außerdem gezeigt: Niemand muss Angst haben, sein Kind im Schlaf zu überrollen. Fazit: Ob mit Wiege, Babybalkon oder im gemeinsamen Bett - jede Familie muss einen individuellen Weg finden, mit dem alle gut schlafen können. Und niemand muss aus Angst ums Kind vorm Familienbett zurückschrecken, wenn folgende Punkte erfüllt sind:
Wir haben Pro und Contra zum Familienbett zusammen gestellt.